LADEHEMMUNG – Der Mercedes E300e ist eine souveräne Oberklassen-Limousine, deren Komfort- und Leistungsansprüche von Plug-in Hybrid-Technik nur unwesentlich geprägt werden, auch wenn hier eine beschränkte E-Autonomie und ein hohes Drehmoment mitspielen. Marc Schonckert genoss den E300e als vorbildlich Reiselimousine.
„Laden oder nicht laden, das ist hier die Frage“, grinste Oma mit den Springerstiefeln und klemmte die Stromkabel an die Mikrowelle, in der sich eine tiefgefrorene Forelle schon seit Stunden aufs Auftauen freute. „Seit die vermuten, dass ich nachts immer den Strom von der Laterne abzapfe, um meinen Camper zu versorgen, sind die misstrauisch geworden.“ Oma hatte sich seit Monaten in ein Wohnmobil an einer verlassenen Ausfallstraße niedergelassen, um der Covid-Panik zu entgehen, die ihr Heim wortwörtlich heimgesucht hatte. „Irgendwann hätten die mich da noch ausgetragen, tot oder lebendig, das kontrolliert ja danach keiner mehr.“ Wir überließen die Forelle ihrem Schicksal und machten uns auf den Weg.
Die 50 km E-Reichweite der Batterie hatte ich auf der Hinfahrt schon verbraucht, nun schnurrte der Benziner unter der Haube, zufrieden, die lästige Konkurrenz und den übereifrigen Helfer los zu sein.
Viel Kraft bei hoher Systemleistung
Die E-Klasse von Mercedes, mit all ihren Eigenschaften lupenreine Oberklasse, aber aus Rücksicht zur unantastbaren S-Klasse stets zur Zurückhaltung verpflichtet, ist eine großräumige, höchst komfortable und ausstattungsmässig sehr anspruchsvolle Limousine der außergewöhnlichen Sorte, die Mercedes nun auch unter der Bezeichnung E300e als Plug-in Hybrid anbietet. Dabei arbeiten ein Zweiliter Vierzylinder Benziner mit 155 kW/211 PS und ein 90 kW starker E-Motor zusammen, was eine Systemleistung von 235 kW/320 PS ergibt und dazu ein gar bemerkenswertes Drehmoment von 700 Nm. Die Kraftübertragung erfolgt über eine 9-Gang-Automatik 9G-TRONIC an die Hinterachse. Die Limousine läuft leicht und locker 250 km/h, sie sprintet von null auf hundert in weniger als 6 Sekunden und fährt sich souverän, lässig und entspannt, wenn man sich die Zeit dazu nimmt, was man an Bord dieses großzügigen Fahrzeugs unbedingt sollte. Dass es bei hohem Tempo einzig auf die Kraft des Benziners ankommt, sollte man hier nicht übersehen, auch wenn rein theoretisch 130 km/h Spitze im ausschließlich elektrischen Betrieb drin sind. Dazu allerdings bedarf es eines vollgeladenen Batteriespeichers, den man zuhause oder an der Säule nachladen kann. Mercedes will hier Langstrecken-Fahrern auch die Möglichkeit bieten, dank E-Vorrat und E-Antrieb in Wohngebieten entsprechend umweltbewusst voran zu kommen, vorausgesetzt, man hat nicht schon den größten Teil des E-Vorrats unterwegs, unbemerkt oder absichtlich, verbraucht. Tatsache ist, dass die Rekuperation beim Bremsen oder Segeln nicht annähernd ausreicht, den E-Speicher während der Fahrt mit Nachschub zu versorgen.
Vernünftiger Verbrauch auch ohne E-Hilfe
So kamen wir nach langer Fahrt über mehr als 500 km und einer anfänglichen E-Autonomie von 30 km, die der Computer beim Start angab, auf einen Benzinverbrauch von gut 7,5 Liter/100 km, was angesichts des Gewichts, der Größe und der Fahrleistungen dieser Limousine gar nicht mal schlecht ist. Gefahren im Komfort-Modus, denn diese Luxus-Komfortlimousine im Sport-Modus zu fahren war uns gar nicht erst in den Sinn gekommen. Wie gesagt, Verbrauch und die sich daraus ergebenden CO2-Werte, wie sie das Werk im WLTP-Testverfahren mit vollem E-Speicher und danach höchstens 50 km im Benzin-Betrieb auf 100 km vorsieht, lagen somit außer Reichweite, aber mit den erwähnten 7,5 Liter lagen wir sehr gut, ich vorne und Oma hinten auf der geräumigen Rückbank, sich vorsorglich einer Flasche Hochprozentigem annehmend.
Unterwegs hatten wir einen Influencer mitgenommen, sie saß ganz aufgeregt in den Polstern und verglich die Farben des Innenraums mit der ihrer Schuhe und machte Selfies von sich und der Armlehne und den Fußmatten unter den Sitzen. Als sie dann Oma ins Bild nehmen wollte, endete ihre Reise abrupt, denn Oma wird in einigen Provinzen steckbrieflich gesucht und sie verspürte keine Lust, ihr Foto neben blonden Einwegflaschen und Haargel-beschmiertem Leergut auf Internet zu finden. Se setzte die Influencerin dann an einer Telefonzelle ab, die leider nur mit Kleingeld funktionierte. Den Mercedes E300 will ich in höchsten Tönen loben, denn er ist eine prachtvolle Limousine mit Stil und Ausstrahlung und souveränen Fahrleistungen. Mit dem „e“-Zusatz als Plug-in Hybrid mit beschränkter Reichweite gewinnt er einiges an Attraktivität, seinen grundlegenden Vorzügen bei Reisekomfort und gehobenem Ausstattungsniveau tut dies jedoch keinen Abbruch.