Handle with care
Eine Alfa Giulia Quadrifoglio Verde zu fahren, ist eine aufregende Sache, wenn alle guten Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehören gutes Wetter, einsame Straßen mit anständigem Belag und eine Portion Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit dem Leistungspotenzial eines renntauglichen Straßenautos. Marc Schonckert erhielt eine Giulia mit Kampfspuren an den Felgen, die er nach zwei Tagen Fahrt im Regen ohne zusätzlichen Kratzer zum Händler zurück brachte.
Die meisten dieser Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt unserer Ausfahrt nicht gegeben. Es regnete, es herrschte viel Verkehr, die Niederquerschnittsreifen der Giulia meldeten jede Unebenheit sofort an die Insassen weiter und der Regen verwandelte den tadellosen Asphalt in rutschige Flächen und das wundervolle Ansprechvermögen der Giulia quittierte jedes unüberlegte Gasgeben im Kurvenausgang mit Ausbrechen des Hecks, sogar im n-Modus und im a-Modus musste man sich auf derartige Überraschungsmomente gefasst machen. Die Fahrmodi bei der Giulia sind „n“ wie „Normal“ für die Balance zwischen Dynamik und Alltagsgebrauch, „d“ für sportliches Fahren mit direktem Ansprechen auf Gas-,Brems- und Lenkbefehle, „a“ für Zylinderabschaltung für optimierten Kraftstoffverbrauch und schließlich „race“ als antriebsstärkster Fahrmodus, auf den man im Alltagsgebrauch lieber verzichten sollte, denn dann geht es ohne die klassischen Stabilitätskontrollen zur Sache, sehr gut für die Rennpiste, falls man dies beherrscht, aber nicht anzuraten auf öffentlicher Straße. Was einen unserer Kollegen wohl nicht gestört hat, wie der zerkratzte Zustand aller vier Felgen zeigte, als wir die Giulia in Empfang nahmen. Im Infotainment-Display der bei vorausgegangenen Fahrten angeschlossenen Handys erkannten wir einige bekannte Namen und konnten unseren Kreis der Verdächtigen dann auf eine Person reduzieren, die für derartige Ausrutscher bei einigen Automarken bekannt und gefürchtet ist.
Die Giulia QV weckt Emotionen und bietet unter normalen Umständen Fahrspaß wie fast kein anderes Auto. „Zum Einsteigen zu schön“ hat neulich ein Journalist geschrieben, dem könnte man ein „Zum Losfahren zu schön“ hinzufügen, denn hat man erst einmal im Sportsitz Platz genommen, eröffnet sich einem ein verführerisches Umfeld von apartem, sportlichem und emotionsgeladenem Design. Alfa-Cockpits waren meist immer Klasse, dieses hier macht da keine Ausnahme und so genießt man erst einmal ein außergewöhnliche Ambiente klassischer Schönheit und Eleganz, ein Armaturenbrett in Schwarz, Ledersitze in grauen Tönen und grüne Sicherheitsgurte, das passt hervorragend zur grünen Lackierung dieser Limousine mit grünem Kleeblatt-Abzeichen.
Nach dem Betätigen des Starterknopfes am Lenkrad erklingt die unverwechselbare Musik des 2,9 Liter V6 Turbo, zuerst rau und blubbernd, was sich dann zu einem gewaltigen Donnern steigert und dann enttäuscht abklingt, wenn der misstrauische Fahrer mit viel Gefühl gerade so viel Gas wie nötig gibt, um gemütlich loszufahren und sich diskret in den Verkehr einzufädeln. Der Giulia verschlägt es die Sprache, aber es regnet und ich verspüre keine Lust, die ersten hundert Meter in Querstellung zu absolvieren. 375 kW/510 PS leistet dieser V6, sein Drehmoment beträgt 600 Nm und das bedeutet Kraft im Überfluss, die eine Achtgang-Automatik einzig und allein auf die Hinterräder ableitet. Die Giulia QV soll über 300 km/h Spitze laufen und die null auf hundert in 3,9 Sekunden absolvieren, das glauben wir sofort, ohne es selbst ausprobieren zu dürfen, allein am Klang des Motors lässt sich ausmalen, welches Tempo am besten zu diesem Temperament passt.
So fuhren wir vorsichtig und vorausschauend unsere Tour und sahen uns im Geiste auf einem Alpenpass hinunter nach Aosta oder auf einer einsamen Landstraße in der Toskana, so wie einst Al Pacino und Marthe Keller im Alfa GTV im Film „Bobby Deerfield“. Die Sonne schien, das Essen war gut und die Nächte feurig, aber der Film endete tragisch. Jetzt fuhren Oma mit den Springerstiefeln und ich im Regen an der Mosel entlang, in einer Giulia QV, die um einiges stärker und moderner war als die damalige GTV 2,5 V6. „Marthe Keller kann ich dir nicht bieten und auch keine Sonne, meinte Oma tröstend und zog eine Flasche Riesling aus ihrem Rucksack. Und die Grappa heben wir uns für zuhause auf. Wegen der Felgen!“